Kubicki: Große Koalition wird nicht halten
Interview mit dem Kölner Stadt-Anzeiger
25.02.2019 Meldung Kölner Stadt-Anzeiger
Der stellvertretende FDP-Bundesvorsitzende Wolfgang Kubicki gab dem Kölner Stadt-Anzeiger das folgende Interview. Die Fragen stellten Carsten Fiedler, Gerhard Voogt und Wolfgang Wagner.
Frage: Herr Kubicki, was passiert, wenn bei der Europawahl die Europagegner die Mehrheit erringen?
Kubicki: Ich befürchte das nicht. Die Liberalen haben bei der Europawahl die große Chance, zweitstärkste Kraft im EU-Parlament zu werden. Auch die FDP wird ihren Stimmenanteil vervielfachen. Angesichts des britischen Austritts-Desasters merken die Menschen, wie wichtig der Zusammenhalt ist. Der wirtschaftliche Schaden des Brexit wird sich aber wahrscheinlich in Grenzen halten. Unsere Unternehmen sind viel flexibler, als es von der Politik oft behauptet wird. Die meisten Firmen dürften sich innerhalb von sechs Monaten auf die Brexit-Bedingungen eingestellt haben. Mich besorgt viel mehr, dass ein harter Brexit zu einer Rückkehr des IRA-Terrors in Nordirland führen wird. Darüber darf London nicht leichtfertig hinwegsehen.
Frage: Welche Rolle spielt die EU-Wahl für die Innenpolitik?
Kubicki: Wenn die SPD weiter verliert, wird es die Diskussionsfreude der Partei über ihr Führungspersonal beleben. Bei der Union wird sich zeigen, ob sich die Wahl von Kramp-Karrenbauer zur Vorsitzenden positiv auswirkt oder nicht. Wenn die Grünen deutlich weniger Stimmen bekommen als erwartet, könnte sich ihre Neigung, Neuwahlen zu forcieren, abschwächen.
Frage: Hält die große Koalition?
Kubicki: Ich glaube nicht. Das Problem wird die SPD sein. Zeitgleich mit der EU-Wahl wird in Bremen gewählt, das seit dem Kriegsende von der SPD geführt wird. Wenn es dort zweistellige Verluste gibt, dann rumst das. Dann wird es einen Führungswechsel geben, weil sie ahnen, was ihnen bei der nächsten Bundestagswahl droht. Sigmar Gabriel läuft sich für den Fall schon mal warm.
Frage: Sie rechnen mit Neuwahlen in diesem Jahr?
Kubicki: Ich kann mir vorstellen, dass die Koalition nach der Sommerpause zerbricht. Dann hat Bundeskanzlerin Merkel die Möglichkeit, zunächst eine Minderheitsregierung zu bilden, was nicht besonders schwierig wäre, weil der Haushalt ja steht. Das kann eine gewisse Zeit erfolgreich funktionieren, aber sicher nicht bis zum Ende der Legislaturperiode.
Frage: Kommt nach einer Neuwahl Jamaika?
Kubicki: Aktuell sieht es so aus, dass dann Schwarz-Grün kommt. Wir sind aber zu allen Gesprächen bereit, wenn wir in einem Dreierbündnis wirklich etwas bewegen können.
Frage: Sie haben eine dezidierte Aversion gegen Grünen-Fraktionschef Anton Hofreiter. Kann man mit Politikern paktieren, denen man sich am liebsten eine Keilerei liefern würde?
Kubicki: Es stimmt, dass Hofreiter ein Typ ist, der mich herausfordert. Ich würde die Irritationen, die durch meine öffentlichen Äußerungen dazu bei ihm entstanden sind, aber gerne bei einem Glas Bio-Wein glätten. Es ist ja immer gut, wenn man sich über Parteigrenzen hinweg versteht. Und wenn wir uns mit den Grünen einig sind, können wir uns gemeinsam den Koalitionspartner aussuchen. Jamaika kann eine gute Option sein. Niemand ist gegen gesunde Ernährung und gegen Klimaschutz. Man muss aber dafür sorgen, dass durch überzogene Forderungen der Grünen keine Existenzen ruiniert werden.
Frage: Die Grünen haben mit dem Thema Hambacher Forst gepunktet. Sollten die Häuser der Baumbesetzer jetzt geräumt werden?
Kubicki: Wenn Sie in einem öffentlichen Park wild campen, haben Sie sofort das Ordnungsamt am Hals. Im Hambacher Forst wird der Rechtsbruch geduldet, weil es um eine vermeintlich gute Sache geht. Das geht mir aus rechtsstaatlichen Erwägungen gegen den Strich.
Frage: Bringt die aktuelle Diskussion um die Feinstaub-Grenzwerte jetzt die Wende beim Thema Dieselfahrverbote?
Kubicki: Ich stelle fest, dass die statistische Lebenswartung in Deutschland nicht kürzer wird, sondern jedes Jahr länger. Es gibt auch eine Studie, die belegt, dass es mehr Starkregen geben wird, der die Feinstaubpartikel aus der Luft holt. Die Zusammenhänge sind offenbar komplexer, als wir ahnen. Ich bin dafür, dass wir so schnell wie möglich emissionsfreie Antriebsarten bekommen. Aber nicht mit E-Autos …
Frage: Sondern?
Kubicki: Wir sind gegen Kinderarbeit bei Textilien. Aber dass Kinder im Kongo Kobalt für unsere Batterien aus der Erde graben, stört uns nicht, wenn es den deutschen Umweltzielen dient. Das finde ich nicht in Ordnung. Im Übrigen: Wir haben 43 Millionen Autos in Deutschland. Wo wollen wir mit den alten Batterien hin? Ich bin dafür, auch auf Wasserstoff- Fahrzeuge und Biokraftstoffe zu setzen. Ein Umstieg wäre schnell möglich, ohne dass die ganze Infrastruktur der Tankstellen komplett umgebaut werden müsste.
Frage: Sie lehnen eine Beobachtung der AfD ab – warum?
Kubicki: Das stimmt nicht ganz. Ich bin gegen die politische Aufforderung an den Verfassungsschutz, hier tätig zu werden. Es darf nicht der Eindruck entstehen, dass man den Verfassungsschutz politisch instrumentalisieren könnte. Bei der AfD gibt es sicher viele Knalltüten, aber nicht alle sind Nazis. Gauland ist zum Beispiel ein Deutschnationaler, der wohl am liebsten zur Zeit Bismarcks gelebt hätte. Ich plädiere dafür, nicht alle auszugrenzen. Die AfD ist schließlich demokratisch in den Deutschen Bundestag gewählt worden. Je cooler wir mit der Partei umgehen, umso mehr entzaubert sie sich.
Frage: Ist die AfD irgendwann regierungsfähig?
Kubicki: Eher nicht. Die Radikalisierung der AfD wird zunehmen, wenn der Rückhalt bei den kommenden Wahlen schwindet. Sie bekommen dann den Eindruck, dass sie lauter sein müssen, um gehört zu werden.
Frage: Wenn Sie in NRW leben würden, was würden Sie schätzen – und was würde Ihnen auf den Keks geben?
Kubicki: Karneval kann ich nur unter Alkoholeinfluss ertragen – wie so viele. Aber ich würde mich freuen, jedes Wochenende Bundesligafußball live im Stadion sehen zu können.