NRW muss Innovationsland werden

Entscheidend ist ein neues Bekenntnis für Industrie durch die Politik

09.08.2016 Meldung Liberal.NRW

Als Vorstandsmitglied der DEUTZ AG steht Dr. Margarete Haase an der Spitze eines inteernational erfolgreichen Unternehmens aus NRW. Im Interview mit liberal.nrw erklärt die „Managerin des Jahres 2011“, die Mitglied im FDP-Wirtschaftsforum ist, welche Zukunftsinvestitionen nötig sind, um NRW wieder auf Wachstumskurs zu bringen, welche Chancen und Herausforderungen der digitale Wandel für Industrie und Gesellschaft bietet und warum Entscheidungen der Bundes- sowie Landesregierung die Arbeit der Unternehmen hemmen.

Bundesweit wächst die Wirtschaft, nur in NRW stagniert sie. Besorgt Sie das? 
Wir müssen uns Sorgen um die Zukunftsfähigkeit des Standortes machen. NRW ist das einzige Bundesland, das in 2015 kein Wirtschaftswachstum verzeichnen konnte. Was uns besonders hemmt, ist das fehlende Investitionsklima. Eine Umfrage zeigt, dass vor 5 Jahren die Metall- und Elektroindustrie in NRW ca 30% ihrer Investitionen im Ausland getätigt hat, aktuell bereits ca 40% im Ausland investiert und dass in 5 Jahren 50% der Investitionen im Ausland anfallen werden. 

Wo sehen Sie die Gründe dafür, dass NRW, einer der bedeutendsten Industriestandorte, zurückfällt? 
Energiekosten, Steuerbelastung, Regulierungswut, ausufernde Bürokratie, insgesamt industriefeindliche Rahmenbedingungen und wenig Wertschätzung von Politik und Gesellschaft für Wirtschaft. Das Hauptproblem in diesem Zusammenhang ist die schleichende De-Industrialisierung. Bei jedem neuen Projekt werden Entscheidungen für Auslandsstandorte oder Standorte außerhalb von NRW geprüft. Nach meiner Einschätzung hat sich eine gewisse Resignation breitgemacht und Wertschöpfung zieht aus NRW ab.

Wie kann das Investitionsklima verbessert werden und welche Zukunftsinvestitionen sind nötig, damit NRW wieder einen Wachstumskurs einschlägt? 
Das entscheidende ist ein neues Bekenntnis für Industrie durch die Politik. Eine Offensive für mehr Flexibilisierung, Mobilität, Bildung und Forschung ist angesagt. Politik muss verlässliche Rahmenbedingungen schaffen, Bürokratie abbauen und sich wieder als echter Partner der Industrie beweisen. Der Investitionsrückstau in Infrastruktur und Verkehr muss aufgelöst werden. Risikokapital und Aktienkultur sind zu fördern. Große Zukunftsprojekte können nicht mit Fremdkapital finanziert werden. Die aktuell niedrigen Zinsen helfen nicht das Investitionsklima zu verbessern, sondern tragen eher zur Verunsicherung bei. 

Trotz der alarmierenden Entwicklung werden NRW Gesetze zum Klimaschutz oder LEP auf den Weg gebracht. Sinnvoll oder unnötige Hürden? 
Leider sind immer wieder unnötige und belastende Sonderwege in NRW zu beobachten, dies führt zu massiver Rechts- und Planungsunsicherheit für investitionswillige Unternehmen. Die Uneinigkeit von SPD und Grünen schwächt NRW und führt zu voreiligen Beschränkungen für den Kraftwerksbau ohne den Klimaschutz in Europa wirklich voranzubringen. 

Hemmen Entscheidungen der Bundesregierung Unternehmertum auch in NRW? 
Deutschland ist aktuell von Platz 10 auf Platz 12 in der internationalen Wettbewerbsfähigkeit zurückgefallen. Das hat mit steigenden Soziallasten, wuchernder Bürokratie und einem Steuersystem zu tun, das innovationshemmend ist. Hinzu kommt eine allgemeine Industriefeindlichkeit: Umverteilung wird für wichtiger gehalten als Wirtschaftswachstum. In unserem Schulsystem fehlen der Wettbewerb und die Wirtschaftsbildung. China und andere aufstrebende Nationen profitieren davon. Die gewaltigen Herausforderungen durch internationale und nationale Krisen können nur mit einer starken Wirtschaft bewältigt werden. Wer nicht mehr wächst, dessen Wohlstand schrumpft.

Eine der großen Herausforderungen der nächsten Jahre ist die Digitalisierung. Wie beurteilen Sie die Chancen für die Industrie? 
NRW muss Innovationsland werden. Die Rahmenbedingungen müssen auf die Herausforderung der Digitalisierung zugeschnitten werden. NRW braucht eine Digitalisierungsstrategie und ein Investitions- und Förderprogramm. Es beginnt in der Bildung und endet beim Risikokapital. Die Klassenzimmer müssen endlich die "Kreidezeit" verlassen und die Lehrer brauchen ein "Update". Auch die NRW Wirtschaft hat große Chancen durch die Digitalisierung. Viele industrielle Produkte, Prozesse und Dienstleistungen eignen sich hervorragend für Erweiterung auf 4.0. Da die Industriestruktur in NRW überwiegend mittelständisch geprägt ist, ist nicht nur Wettbewerb, sondern auch Kooperation über Allianzen und staatliche - unbürokratische - Förderungen ausschlaggebend für die Realisierung dieser Chancen. 

Sind Befürchtungen Digitalisierung vernichte Arbeitsplätze oder überlaste Arbeitnehmer durch ständige Erreichbarkeit gerechtfertigt? 
Keineswegs. Das größte Risiko für Arbeitsplätze ist das Nicht erkennen und Nicht wahrnehmen von Chancen. Digitalisierung heißt nicht automatisch ständige Erreichbarkeit, aber hohe Flexibilität, die aber oft auch den geänderten Bedürfnissen der Arbeitnehmer entgegenkommt. Wenn NRW bei diesem Thema zuerst immer über Arbeitsmarktregulierung nachdenkt, schreckt das Investoren eindeutig ab. 

Wird in NRW genug unternommen, um den digitalen Wandel voranzutreiben?
Ja, es wird sehr viel darüber geredet. Den Worten müssen jetzt Taten folgen: im Hinblick auf Investitionen, dem Breitbandausbau, Deregulierung, Förderung von Risikokapital und Aktienkultur. Ganz nebenbei hilft der Anstieg der Aktienbesitzer das Rentenproblem zu mildern. 



Dr. Margarete Haase ist gebürtige Österreicherin. Bei Daimler arbeitete sie 20 Jahre lang in verschiedenen Führungspositionen bevor sie 2007 Mitglied im Vorstand der Daimler Financial Services AG Berlin wurde. Im April 2009 wechselte Haase in den Vorstand der DEUTZ AG Köln, wo sie seitdem für die Bereiche Finanzen, Personal und Investor Relations verantwortlich ist. 2011 wurde sie von der „Financial Times Deutschland“ zur Managerin des Jahres ernannt. Seit Mai 2014 ist sie Vorstandsvorsitzende des Arbeitgeberverbands kölnmetall und seit Februar 2016 Mitglied der Regierungskommission Deutscher Corporate Governance Kodex. Dr. Haase ist Mitglied im FDP-Wirtschaftsforum.

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