Stark-Watzinger: In den Schulen sollten wir in den kommenden Wochen noch Vorsicht walten lassen
Interview mit dem Redaktionsnetzwerk Deutschland, Tobias Peter
21.02.2022 Pressemeldung Redaktionsnetzwerk Deutschland
Frau Stark-Watzinger, die Präsidentin der Kultusministerkonferenz, Karin Prien, fordert Lockerungen an Schulen, nämlich ein schrittweises Zurückfahren von Corona-Tests und Maskenpflicht. Stimmen Sie zu?
Bei sinkender Inzidenz und einem stabilen Gesundheitssystem müssen wir jetzt gesellschaftlich eine Öffnung erleben. Deshalb erwarte ich von der Ministerpräsidentenkonferenz, dass dort erste spürbare Schritte in diese Richtung gegangen werden. Gleichzeitig gilt: In den Schulen sollten wir in den kommenden Wochen noch Vorsicht walten lassen. Denn mit gut umgesetzten Hygienemaßnahmen können wir dort sehr viel gegen Infektionen tun.
Testen und Maskentragen werden in den Schulen also weiter zum Alltag gehören, oder?
Wenn wir die Schüler weiter regelmäßig testen und sie in der Schule Masken tragen, können wir den Präsenzunterricht und den Infektionsschutz gut miteinander verbinden. Das ist auch ein Beitrag zur Chancengerechtigkeit. Deshalb sollten wir noch ein paar Wochen daran festhalten – bis die Infektionslage Lockerungen im Bildungsbereich regional differenziert erlaubt. Niedrigschwellige Hygienemaßnahmen könnten in den Schulen entsprechend den Empfehlungen der Wissenschaft auch danach noch nötig sein.
Mehr als 100 Schülervertreterinnen und Schülervertreter haben in einem viel beachteten, offenen Brief, der auch an Sie gerichtet war, besseren Schutz in den Schulen gefordert. Mittlerweile haben Sie einige der Schüler, die ihrer Aktion den Titel „Wir werden laut“ gegeben haben, getroffen. Konnten Sie die Schüler überzeugen, dass eigentlich alles gar nicht so schlimm ist?
Als Bildungsministerin habe ich mir ohnehin das Ziel gesetzt, mit Schülerinnen und Schülern bei allen Themen intensiver im Austausch zu sein. Das gilt nicht nur bei der Bewältigung der Pandemie und dem Infektionsschutz, sondern vor allem auch bei der schnelleren Digitalisierung der Schulen. Mehr Zuhören, mehr Dialog: Das ist mein Angebot an die Schülervertreter für die kommenden Jahre. Mit der Bundesschülerkonferenz und den Schülervertretern von „Wir werden laut“ hatten wir einen guten Austausch.
Wie erklärt man denn den Schülern, dass sich etwa beim Thema Luftfilter seit Beginn der Pandemie so wenig getan hat?
Hier hätte schon in der Vergangenheit mehr passieren müssen. Bürokratie darf nicht dazu führen, dass Luftfilter nicht in den Schulen stehen. Hier sollten alle Beteiligten ran, um das zu prüfen und zu ändern: die Kommunen, die Länder und der Bund. Gemeinsam müssen wir es hinbekommen, dass im Herbst in weit mehr Schulen als jetzt Luftfilter vorhanden sind.
„Wir werden laut“ fordert wegen der Omikron-Welle eine bundesweite Aussetzung der Präsenzpflicht. Mit anderen Worten: Schüler und Eltern sollen selbst entscheiden können, ob sie lieber die Infektionsgefahr in der Schule in Kauf nehmen – oder Bildungsnachteile, wenn sie zu Hause bleiben.
Schüler können im Einzelfall schon jetzt zu Hause bleiben, wenn sie Vorerkrankungen haben oder es zu Hause Familienmitglieder gibt, die im Fall einer Ansteckung besonders gefährdet wären. Das finde ich absolut richtig. Wir wissen allerdings auch, wie groß die Folgen der Schulschließungen für die Kinder im Lockdown waren. Dabei geht es nicht nur um den gravierenden Bildungsausfall, sondern auch um physische und psychische Probleme. Die Präsenzpflicht ist ein hohes Gut. Eine generelle Aussetzung halte ich deshalb nicht für sinnvoll.
Was sagen Sie Eltern, die kritisieren, Kinder würden in den Schulen zur Durchseuchung freigegeben?
Ich kann gut verstehen, dass Eltern Sorge haben. Jeder sorgt sich um seine Kinder und setzt sich dafür ein, dass sie möglichst wenigen Gefahren ausgesetzt sind. Deshalb brauchen Schulen zunächst auch weiter ein hohes Schutzniveau. Die Aufgabe der Politik ist es allerdings, auch diejenigen Kinder im Blick zu behalten, die zu Hause wenig gefördert werden können. Sie dürfen nicht weiter abgehängt werden.
Mal ehrlich, wäre die Omikron-Welle nicht ein Moment gewesen, in dem man wieder in den Hybridunterricht gegangen wäre, wenn die Schulen – Stichwort Digitalisierung – dafür besser gerüstet gewesen wären?
Ich bedaure sehr, dass wir an den Schulen noch nicht den Stand haben, der es problemlos erlaubt, Präsenzunterricht mit digitalem Unterricht zu kombinieren. Digitalisierung ist aber mehr als Technik und Pandemiebewältigung. Wir müssen daher auch in der Lehrerfortbildung besser werden und wollen individuelles Lernen ermöglichen. Ich kann die Ungeduld der Schülerinnen und Schüler gut verstehen, die schnellere Fortschritte einfordern.
Sie halten eine Grundgesetzänderung für die klarste Lösung, damit der Bund die Länder besser in der Bildung und bei der Digitalisierung unterstützen kann. Bekommen Sie das durch?
Bildung ist eine Aufgabe, die uns alle betrifft. Deshalb müssen Kommunen, Länder und Bund gut zusammenarbeiten. Dabei wäre eine klare Aufgabenteilung sinnvoll, um mehr und bessere Bildung zu erreichen. Deswegen das Gesprächsangebot an die Länder. Die Pandemie hat gezeigt, dass unser Bildungssystem nicht so gut ist, wie es sein müsste und könnte. Das betrifft vor allem die Digitalisierung. Hier würde es sicher helfen, wenn der Bund mehr Verantwortung übernimmt. Es muss doch nicht jedes Land oder gar jede Schulleiterin und jeder Schulleiter eigene Plattformen und Standardkonzepte entwickeln. Das könnte der Bund für alle leisten.
Unmittelbar vor der Ministerpräsidentenkonferenz dringt die FDP auf rasche Corona-Lockerungen. Welche Einschränkungen sind aus Ihrer Sicht nicht mehr angemessen?
Wenn die Gründe für tiefgreifende Grundrechtseingriffe im Kampf gegen die Pandemie entfallen, dann müssen auch die Maßnahmen entfallen. Ich denke dabei zuerst an Einschränkungen wie 2G zulasten von Einzelhandel und Gastronomie. Darüber hinaus an die Kontaktbeschränkungen für Geimpfte und Genesene. Der Kanzler und die Ministerpräsidenten müssen einen konkreten Stufenplan zurück zur Normalität beschließen.
Die Lehrergewerkschaften warnen, wenn die generellen Corona-Maßnahmen zu stark gelockert würden, könne dies auch negative Auswirkungen auf die Schulen haben, weil Infektionen dann auch wieder vermehrt dort hingetragen würden. Haben sie nicht Recht?
Genau deshalb bin ich der Auffassung, dass wir bei den Schulen weiter vorsichtig sein und dort länger auf Hygienemaßnahmen setzen müssen.
Also längere Schutzmaßnahmen in den Schulen, damit beim Shopping mehr möglich ist?
Darum geht es nicht. Wir müssen differenziert vorgehen. Die Masken etwa werden sicher noch einige Zeit Teil des Alltags sein.
Je geringer die Impfquote, desto größer ist die Gefahr, dass wir im kommenden Herbst und Winter Probleme mit der nächsten Corona-Welle bekommen – mit negativen Rückwirkungen auch an den Schulen. Warum können Sie sich bislang trotzdem nicht zu einem Ja zur allgemeinen Impfpflicht durchringen?
Es muss das Ziel sein, die Pandemie mit dem mildesten Mittel nachhaltig zu bekämpfen. Die Impfung ist der Weg aus der Krise, und ich werbe sehr dafür, dass jeder, der bisher noch nicht geimpft ist, noch einmal darüber nachdenkt. Deshalb bin ich auch dafür, dass es – wie es in einem Antrag angedacht ist – eine Beratungspflicht geben sollte. Insgesamt tendiere ich zu diesem Antrag, der eine altersbezogene Impfpflicht ab 50 Jahren vorsieht. Es bleibt aber dabei, dass ich die Debatte im Parlament abwarte.
Wie viel Normalität wird auch für Studentinnen und Studenten wieder einziehen? Sie haben in der Pandemie stark gelitten, aber weniger öffentliche und politische Aufmerksamkeit bekommen als die Schüler.
Es gibt Studierende, die haben noch nie ihre Hochschule von innen gesehen. Das muss man sich einmal vorstellen. Gleichzeitig haben sich die Studentinnen und Studenten in der Pandemie sehr solidarisch gezeigt und eine hohe Impfquote. Ich appelliere daher an die Länder, an den Hochschulen so viel Normalität wie möglich zu ermöglichen.
Der Weltklimarat berät gerade über seinen neuen Lagebericht. Die FDP hat im Wahlkampf stets gesagt, sie unterscheide sich beim Klimaschutz gar nicht in den Zielen von den Grünen, sondern im Weg. Es gehe darum, das Ziel insbesondere durch Forschung und Innovation zu bewältigen. Nehmen Sie als Forschungsministerin zusätzliches Geld für die Klimaforschung in die Hand?
Wir machen bereits sehr viel und unterstützen tolle Forschung und Projekte, etwa zu grünem Wasserstoff. Was wir als Bundesforschungsministerium noch einmal stärken wollen, ist der Transfer. Uns geht es also darum, dass Forschung schneller als bisher in Innovationen umgesetzt wird, die dann auch angewendet werden. Unsere globale Rolle muss darin bestehen, mit solchen technologischen Lösungen auch für andere zum Vorbild zu werden.