„Weniger Bürokratie!“
Ralph Sterck, FDP, im Gespräch mit Tom Laroche
11.03.2020 Meldung Mülheimia
Ralph Sterck ist Vorsitzender der FDP-Ratsfraktion, Mitglied im Stadtentwicklungs-, Verkehrs-, Haupt- und Liegenschaftsausschuss. Seine Unterstützung der Kandidatur Henriette Rekers hat er für die 2020 anstehenden Kommunalwahlen aufgekündigt.
TL: Du bist in Mülheim geboren…
RS: Ja, in der Düsseldorfer Straße, auch mein Cousin und mein Bruder. Die ersten Jahre haben wir dann am Eisstadium und später in Ostheim gewohnt. Ich habe früher in einer Spedition gearbeitet und da hat man schon gemerkt: die Rechtsrheinischen kannten sich in ganz Köln aus, für viele Linksrheinische fängt im Rechtsrheinischen Sibirien an. Ich war in Ostheim an der Schule und in Kalk fünf Jahre Bezirksvertreter. Durch meine politische Tätigkeit auf der Schäl Sick ist mir auch Mülheim sehr bekannt, vor allem auch durch die Arbeit im Stadtentwicklungsausschuss und durch die konkreten Entwicklungen in Mülheim-Süd, die ich intensiv begleite.
TL: Es wird aktuell eine Milieuschutzsatzung für das Severinsviertel diskutiert. Wie sieht das künftig für Mülheim aus und wie stehst du und wie steht deine Partei zum Thema Gentrifizierung?
RS: Wir machen das mit der Milieuschutzsatzung nicht mit. Man kann das an der Entwicklung in den ehemaligen Arbeiterstadtteilen wie Ehrenfeld und Nippes sehen und jetzt ist Mülheim dran. Das Severinsviertel beispielsweise war auch ursprünglich ein solches Arbeiterviertel mit Stollwerck, Hausbesetzerszene u.s.w. und heute ist es in, dort zu wohnen. Es ist eigentlich eine Erfolgsgeschichte. Es haben sich einige gut eingerichtet und jetzt die Käseglocke drüber zu stülpen und zu sagen: jetzt darf sich nichts mehr verändern, halte ich für falsch. Gentrifizierung ist hier der Kampfbegriff, aber Gentrifizierung ist auch ein Motor der Stadtentwicklung. Für manche Stadtteile würde man sich sogar mehr Gentrifizierung wünschen. Ich würde den Menschen lieber genug Wohngeld geben, damit sie sich auf dem freien Markt Wohnungen leisten können, statt die Objekte, also die Wohnungen zu subventionieren. Ich bin mehr für die Subjektförderung, wo der Mensch gefördert wird, und nicht zeitweilig die Wohnungen bezuschusst werden.
TL: Wir haben akuten Wohnungsnotstand. Wie wird sich die Wohnsituation in Mülheim entwickeln?
RS: In Mülheim selbst ist gar nicht mehr viel zu bebauen.
TL: Ja, aber unten am Rhein…
RS: Mülheim-Süd ist was anderes.
TL: In der Schanzenstraße werden 8000 Büroeinheiten geschaffen und keine einzige Wohnung…
RS: Das stimmt. Es gab eine Debatte, ob man dort Wohnungen bauen könnte, aber die Verwaltung hat davon abgeraten wegen der Industriebetriebe mit ihren Arbeitsplätzen, die man ja auch schützen will, damit die nicht durch heranrückende Wohnbebauung vertrieben werden. Das gleiche hatten wir schon in Kalk an der Dillenburger Straße, wo man die KHD halten wollte. Am Ende sind sie doch weggegangen, aber man will der Sache nicht Vorschub leisten.
TL: Die IHK hat ein ganzes Gebäude in Mülheim angemietet…
RS: Das ist im Grunde eine Sensation. Man könnte sagen: Mülheim hat es geschafft. Vor 20 Jahren wäre es nicht denkbar gewesen, dass eine letztlich so konservative Einrichtung, aber auch andere große Institutionen wie das Schauspielhaus, sich trauen, hier hinzukommen. Und es hat ja auch funktioniert: Die Leute kommen ins Schauspielhaus, Palladium und E-Werk. Und jetzt, wo unter anderem die IHK hier angesiedelt wird und es hier insgesamt rund 8000 neue Arbeitsplätze geben wird, steigt natürlich auch die Nachfrage am Wohnungsmarkt und das verteuert natürlich die Mieten.
TL: Das ist das Grundproblem, oder?
RS: Es wird zu wenig gebaut: Die Stadt müsste 6000 Wohnungen im Jahr schaffen. Wir werden neue Gebiete erschließen müssen. Wir bräuchten zweieinhalb Tausend Hektar, um den Bedarf für die nächsten 25 Jahre abdecken zu können, aber die Verwaltung hat nur ein Drittel davon vorgeschlagen. Das wird also rein physikalisch gar nicht klappen, wenn man keine zusätzlichen Flächen ausweist. Jetzt schreien alle „Klimaschutz“ und man darf nichts mehr versiegeln. Oder die Diskussion um die Mietendeckel. Die FDP sagt hierzu: Wir müssen bauen, bauen, bauen. Aber dem steht zuviel Bürokratie entgegen, zu viele Auflagen. Wenn man mal vergleicht: Bauen in Deutschland und Bauen in Holland, dann gibt es andere Standards…
TL: In Sachen Stadtentwicklung und Wohnungsbau vertritt die FDP oft andere Meinungen als die anderen Parteien…
RS: Ja, das stimmt. Wir haben zu viel Bürokratie: Milieuschutzsatzungen, ein kooperatives Baulandmodell, Konzeptvergaben… Das alles hat dazu geführt, dass wir z.B. im Sürther Feld gar keine Bewerber für Grundstücke mehr hatten. Es wurden Einfamilienhäuser ausgeschrieben und es hat sich kein einziger Investor dafür beworben, weil die Auflagen so hoch waren. Ich würde vorschlagen, alle diese Dinge, die von den Parteien, von denen sie stammen, sicher gut gemeint sind, die aber Gift sind für den Wohnungsbau, fünf Jahre lang auf Eis zu legen. Die Instrumente sind einfach zu bürokratisch.
TL: Du hast von Holland gesprochen mit niedrigeren Standards, aber man könnte auch in die andere Richtung nach Luxemburg schauen, wo mittlerweile nur noch Passivbau zugelassen wird. Das sind ganz andere Umweltstandards und es scheint dort zu funktionieren.
RS: Das macht es natürlich extra teuer. Da gab es letztens beim Schulbau einen Fall, da hat man dann irgendwann angefangen, die Wände aufzustemmen, um Luft reinzulassen, weil die mit dem Passivstandard nicht klargekommen sind. Das ist auch eine Diskussion hier in Köln, ob alles in diesem Standard gemacht werden muss. Wir müssen in den nächsten Jahren 40 Schulen bauen. Wenn das alles Passivhäuser werden sollen, wird es irre teuer, langwierig und aufwändig und das zieht dann die nächsten Probleme nach sich.
TL: Eine Milieuschutzsatzung soll unter anderem Teuerungen durch Maßnahmen wie Luxussanierungen reglementieren. Wäre das nicht sinnvoll, weil eben z.B. durch solche Sanierungen die Preise hochgetrieben und letztlich Menschen aus ihren Wohnungen getrieben werden?
RS: Naja, da gibt es dann die einen, die sich im Viertel optimal eingenistet haben und ihre Wohnungen aufwerten konnten, und für alle anderen soll es dann untersagt sein nachzuziehen. Wir halten es für falsch und auch unfair, die Entwicklung hier künstlich anzuhalten. Es gab eine Untersuchung für das Severinsviertel, bei der 38% der Mieter gesagt haben, dass sie sich Sanierungen wünschen, weil sie kein eigenes Bad oder keine Heizung haben. Wenn man selbst eine optimal instand gesetzte Wohnung hat, kann man es ja toll finden, dass es billige Wohnungen gibt, aber ob das für alle Betroffenen toll ist, ist eine andere Frage.
TL: Zum Thema Zweckentfremdung von Wohnraum hat die FDP auch opponiert, als es darum ging, dem einen Riegel vorzuschieben.
RS: Nein, da haben wir mitgemacht. Es wurde bei uns viel diskutiert. Die Landtagsfraktion sieht das lockerer, aber ich habe da für Köln gesagt: Dass hier ganze Häuser in der Altstadt umgewandelt werden, damit irgendwelche Junggesellenabschiede hier absteigen können, halte ich für keine gute Entwicklung. Köln hat genug Hotelzimmer. Das eigentliche Prinzip von Airbnb ist ja ein gutes, dass man z.B. als Student in den Semesterferien die Wohnung weitergeben kann oder ähnliches. Aber dass am Ende gar kein Hauptmieter mehr da ist, halten wir für verkehrt, und daher unterstützen wir auch die Wohnraumschutzsatzung. Es ist gut, dass etwas dagegen getan wird, dass künstlich Wohnungen dem Wohnungsmarkt entzogen werden. Es geht hier schließlich um einige, laut einigen Schätzungen sogar über 6000 Wohnungen.
TL: Man hört manchmal von Vermietern, die neben der Miete und der Provision, noch einmal zusätzlich die Hand aufhalten und weitere Summen fordern, damit ein bestimmter Mieter den Vorzug kriegt.
RS: Ja, das ist Missbrauch. Dann wird noch mal die Küche mitverkauft, oder, um die Mietpreisbremse zu umgehen, wird möbliert vermietet. Umso mehr du versuchst, das zu reglementieren, zu umso mehr Ausweichstrategien führt das. Zwischen gut gemeint und wirklich gut klafft halt oft ein Graben. Alle sind findig und finden Tricks, um an den Vorschriften vorbeizukommen.
TL: Du bist also für mehr günstigeren Wohnungsbau? Liegst Du da nicht politisch sehr konträr zu den anderen Parteien?
RS: Das kann sein. Wir sind für mehr Wohnungsbau und weniger Bürokratie. Warum sollte man nicht mehr unkomplizierter bauen dürfen? Da kann dann auch mal eine Leitung auf Putz legen, oder da kann ein Haus ohne Keller gebaut werden, oder auch mal mit einer steileren Treppe: die Holländer leben ja auch gut. Oder da kann, wie in München, nachverdichtet werden. Ich habe noch nie jemanden gehört, der gesagt hätte, München hätte eine schlechte Lebensqualität. Es muss doch möglich sein, in Köln sowohl hochpreisige als auch einfachere, niedrigpreisige Wohnungen zu bauen. Ich würde den anderen Parteien huldigen, wenn ihre Bürokratie und ihre Auflagen zu mehr Wohnungen führen würden. Wenn es erfolgreich wäre, würde ich es zugeben und befürworten. Hinter diesen ganzen planwirtschaftlichen Gedanken stehen hehre Ziele, aber es funktioniert halt nicht. Warum sollten sich Investoren dieses ganze Theater in Köln antun? Die können stattdessen auch in Hürth oder Düsseldorf bauen.