Menschenrechtspreise 2021

Die demokratische Welt schaut nach Belarus

01.02.2021 Meldung Gerhart und Renate Baum - Stiftung

Die Gerhart und Renate Baum-Stiftung verleiht den mit 10.000 € dotieren Menschenrechtspreis 2021 an die belarusische Bürgerrechtskämpferin Maria Kalesnikava für ihren mutigen Kampf um eine demokratische Zukunft der Gesellschaft in Belarus. Nicht aufgeben! Das ist die Botschaft, die sich auch an alle anderen mutigen Frauen und Männer in der belarusischen Bürgerbewegung richtet.

Die Bilder aus Belarus, die seit einigen Monaten um die Welt gehen, sind vor allem von Frauen geprägt. Frauen haben die Oppositionsbewegung gegen den seit 26 Jahren regierenden Autokraten Lukaschenko in Belarus stark gemacht. Von einem Wandel der patriarchalischen Gesellschaft haben sie am meisten zu gewinnen. Es ist vor allem Maria Kalesnikava – von Hause aus Musikerin, Kulturmanagerin und Wahlkampfleiterin des später inhaftierten Präsidentschaftskandidaten Viktor Babariko –, die mit ihrem fröhlich-kämpferischen Auftreten und energiegeladener Körpersprache zum strahlenden Symbol der belarusischen Oppositionsbewegung wird. Zusammen mit Svetlana Tichanovskaja, die nach der Inhaftierung ihres Ehemanns, des Videobloggers und Lukaschenko-Kritikers Sergej Tichanovskij, eine Führungsrolle übernahm, und Veronika Zepkalo, Ehefrau des im Exil lebenden Diplomaten Valerij Zepkalo, motivierte sie mit unbeirrbarem Optimismus hunderttausende Menschen in Belarus, für freie Wahlen, für Demokratie und die selbstbestimmte Gestaltung eines freien Landes aufzustehen.

Maria Kalesnikava wurde 1982 als Tochter von Ingenieuren in Minsk geboren. Sie studierte Flöte an der Belarusischen Staatlichen Musikakademie, setzte ihr Studium 2007 in Deutschland an der Musikhochschule Stuttgart fort, wo sie 2013 zwei Masterstudiengänge in Alter Musik und Neuer Musik abschloss. In diesen Jahren erlebte sie hautnah das Wesen einer freiheitlichen Gesellschaft und die Kraft künstlerischer Freiräume.

Von Stuttgart aus managte Kalesnikava Kulturprojekte, arbeitete teils beim Aufbau eines Kulturzentrums in Belarus, teils in Deutschland für das Musikfestival ECLAT. Seit 2017 ist sie Mitglied des Neue-Musik-Ensembles TRIO vis-à-vis und war Mitbegründerin des Festivals Artemp und der Initiative InterAkt. Ab 2019 ist sie künstlerische Leiterin des Kulturclubs OK16 in Minsk. Seither pendelte sie zwischen Minsk und Stuttgart und begann, einen Raum für die experimentellen Künste in ihrem Land zu etablieren. Über ihre Kulturarbeit lernte sie Viktor Babariko kennen, der als Chef einer russischen Bank künstlerische Projekte förderte. „Die Werte, die Linie, die er vertritt, sind mir sehr nah. Er hat sich stark für die Entwicklung der belarusischen Kultur und für die moderne Kunst eingesetzt. Und er ist demokratisch und offen“, sagte Kalesnikava bei einem Gespräch in Minsk.

Es kam anders: Babariko entschied sich für den Wechsel in die Politik und für den Kampf gegen Lukaschenko. „Ich habe ihm ohne zu zögern meine Unterstützung angeboten. Aber natürlich nicht gedacht, dass ich mich in dieser Rolle wiederfinde“, erzählte sie. Ihre Rolle war zuerst Wahlkampfmanagerin. Als Lukaschenko wenig später Babariko verhaften ließ, unterstützte sie die zur Präsidentenwahl am 9. August zugelassene Seiteneinsteigerin Swetlana Tichanowskaja, die stellvertretend für ihren inhaftierten Ehemann, den Oppositionellen Sergej Tichanowskij, als Siegerin aus der Abstimmung hervorging.

Doch nach Tichanovskajas Abschiebung ins EU-Exil übernahm Maria Kalesnikava die Führung der Oppositions bewegung und kündigte die Gründung der neuen Partei „Wmestje“, zu Deutsch „Miteinander“ an. Ihre belarusischen Mitbürger*innen ermutigte sie, selbst Verantwortung im Widerstand zu übernehmen. Sie selbst sagte bei den Gesprächen in Minsk, dass ihr zwar der Rosenbalkon in Stuttgart fehle, aber der große Aufbruch jetzt ihre Sache sei. Maria sucht die Herausforderung. Stillstand, sich in einer Situation einzurichten und mit ihr abzufinden – das ist nicht ihre Sache.

Maria Kalesnikavas Werdegang zeigt beeindruckend, wie sie konsequent ihre Talente schärfte und ihr Können weiterentwickelte, um eine moderne und freie Gesellschaft in Belarus mitzugestalten. Sie hat den sicheren Job als Musiklehrerin in Stuttgart beendet, um sich als Medienmanagerin und Speakerin weiterzubilden. Als professionelle „Influencerin“ weiß sie, wie man Reichweite erzielt. Sie hielt Vorträge auf Kongressen zu unterschiedlichsten Themen, sie versteht es, Menschen zu erreichen, zu überzeugen, ihnen etwas nahezubringen.

Maria Kalesnikava ist politische Aktivistin UND Künstlerin. Sie weiß um die nachhaltige Kraft der Kunst. Die Kunst schafft Räume zur Veränderung, oder – wie Schiller sagte – „…eine Kunst ist eine Tochter der Freiheit“. Während Tichanovskaja, Zepkalo und andere – darunter die der Bewegung nahestehende Literaturnobelpreisträgerin Swetlana Alexijewitsch – inzwischen Belarus verlassen haben, hat Maria Kalesnikava geschworen, im Lande zu bleiben. Am 8. September 2020 sollte sie in die Ukraine abgeschoben werden. Sie zerriss beim Grenzübergang ihren Pass, wurde festgenommen und ist seitdem in Haft.

Der Menschenrechtspreis der Gerhart und Renate Baum-Stiftung an Maria Kalesnikava ist eine Verbeugung vor dem Mut und der Kompromisslosigkeit einer Kämpferin.                                       

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Gerhart Rudolf  Baum

Gerhart Rudolf Baum

Bundesinnenminister a.D.

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