Wir können nicht alle Energielieferungen aus Russland sofort stoppen

Ein Interview aus der KölnLiberal mit Reinhard Houben

03.06.2022 Meldung FDP-Kreisverband Köln

Herr Houben, manche fordern, dass wir sofort alle Energielieferungen aus Russland stoppen sollen. Warum machen wir das nicht?

Ich verstehe diese Forderungen vollkommen. Wir sollten uns von russischer Energie so schnell wie möglich unabhängig machen, damit wir Putin nicht dabei helfen, seine Kriege zu finanzieren. Aber als Politiker müssen wir alle Aspekte abwägen. Wir wollen aus der Atomenergie aussteigen und möglichst schnell auch aus der Braunkohle. Damit werden wir noch empfindlicher. Wir können kurzfristig Steinkohle und Rohöl aus Russland kompensieren, innerhalb von 12-24 Monaten, denn hier gibt es andere Lieferländer. Das wird teurer, aber es ist machbar. Beim Erdgas ist das schwieriger. Und wir müssen Rücksicht nehmen auf andere Partner in Europa, die zu hundert Prozent von russischem Gas abhängig sind und auch keine Möglichkeit haben, es durch Flüssiggaslieferungen (LNG) zu kompensieren, z.B. die Slowakei.

Es gibt doch auch beim Erdgas andere Lieferanten…

Wir könnten theoretisch mehr Erdgas aus den Niederlanden beziehen, aber dort will man wegen der Erdbebengefahr die Produktion zurückfahren. LNG-Lieferungen sind erst möglich, wenn wir Terminals dafür gebaut haben. Dies soll nun schnell geschehen, wird aber auch einige Zeit dauern. In Rotterdam könnte zwar noch mehr LNG angeliefert werden, aber die Rohrleitungen nach Deutschland sind schon voll und geben keine größeren Liefermengen her. In Deutschland selbst wäre Fracking machbar, wenn dies vor Ort, insbesondere in Niedersachsen, politisch durchsetzbar wäre. All dies sind Optionen, bei denen die Abhängigkeit von russischem Erdgas aber nur schrittweise reduziert werden kann.

Was würde denn passieren, wenn wir nicht genug Erdgas mehr hätten?

Wenn jetzt abgeschaltet würde, kämen wir sicherlich über den Sommer. Über den Winter kämen wir derzeit aber nicht. Die Menschen in Deutschland müssten dann auf Strom und vor allem auf Wärme verzichten. Liefermengen würden rationiert, es müssten Abschaltszenarien erstellt werden. Dann gäbe es ein Ranking, welche Unternehmen ihre Betriebe runterfahren oder ganz abschalten müssen. Bis wir frieren, würde es noch etwas dauern. Aber extreme ökonomische Einschränkungen und die hohen Preise für alle Energieträger wären nicht zu vermeiden. Unternehmen, die keinen Strom mehr bekämen, müssten ihre Arbeit einschränken oder ganz einstellen und die Mitarbeitenden in Kurzarbeit schicken. Das würde natürlich auch die entsprechenden sozialen Verwerfungen mit sich bringen. Es würde zu Unruhen kommen, von denen extremistische Parteien profitieren würden, also genau diejenigen, die immer noch – trotz des Krieges – an guten Beziehungen zu Putin festhalten wollen.

Was können denn die Menschen selbst tun, damit es nicht so weit kommt?

Wer will, kann natürlich sparen. Man kann weniger fahren, langsamer fahren, die Heizung runterdrehen. Auch dadurch müssen wir weniger importieren. Die Erfahrung zeigt ja: Wenn die Preise steigen, verbrauchen die Menschen weniger. Wir dürfen das aber nicht vorschreiben, dies muss eine freiwillige Entscheidung bleiben. Wer Immobilien besitzt, sollte sich mit der Frage der Solarenergie beschäftigen. Wo es sich bisher nicht gelohnt hat, könnte es sich bei steigenden Preisen plötzlich rechnen.

Müssen wir die Energiewende nicht nochmal beschleunigen?

Ja, aber auch das geht natürlich nicht von heute auf morgen. Alle haben mittlerweile eingesehen, dass es dazu keine Alternative gibt. Christian Lindner hat das passende Motto für diese Zeit kreiert: Erneuerbare Energien sind Freiheitsenergien.

Die Auswirkungen des Krieges sind aber auch in vielen anderen Sektoren spürbar. Es gibt Probleme in den Lieferketten, die Preise steigen. Was droht uns noch?

Wir erleben jetzt schon, dass die steigenden Preise für Benzin und Diesel die Pendlerinnen und Pendler überfordern. Wer nicht so gut verdient und wegen der hohen Mieten in den großen Städten aufs Land gezogen und jetzt auf das Auto angewiesen ist, der bekommt schon Probleme. Ich bekomme viele Mails dazu. Die Speditionswirtschaft schlägt Alarm, die LKW-Fahrer haben schon in Köln demonstriert. Die Bundesregierung hat ein Entlastungspaket beschlossen, das jetzt schnell umgesetzt werden muss. Aber die Probleme werden sich verschärfen, wenn der Krieg noch länger dauert. Wenn die Ernte in der Ukraine ausfällt, kann das den Hunger in Afrika verschärfen. Und es drohen täglich neue Hiobsbotschaften. Gar nicht zu reden von den vielen Flüchtlingen.

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Reinhard  Houben, MdB

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