Bericht aus Brüssel mit Hans H. Stein
Mal nicht „durch die deutsche Brille“ auf Europa geschaut!
31.07.2019 Meldung FDP-Kreisverband Köln
Hans Stein kennt sich aus im Brüsseler Europaviertel, dem Stadtteil Ixelles, wo die Europäische Union ihre mächtigen Parlaments-, Rats- und Kommissionsgebäude errichtet hat. Wo der Puls der Europäischen Union schlägt, in deren 28 Mitgliedsländern vor rund zwei Monaten die Wahl zum Europäischen Parlament stattfand. Denn Hans Stein, ehemals Kreisvorsitzender der FDP Köln, ist heute Leiter der NRW-Landesvertretung in Brüssel – NRW-Botschafter in der EU, wenn man so will. Auf Einladung von Gerd Kaspar, Kölner FDP-Kandidat bei der Europawahl 2019, war Hans Stein am Donnerstag Abend in der Kreisgeschäftsstelle zu seinem „Bericht aus Brüssel“.
Der Wahlausgang und die Folgen
„Wenn wir auf den Ausgang der Europawahl schauen, dann tun wir das fast immer mit Blick auf das Ergebnis in Deutschland. Das wurde zur Genüge durchleuchtet, daher heute ganz bewusst mal der Blick aufs große, ganze Europäische!“ Hans Stein legte viel Wert darauf, an diesem Abend die europäische Brille aufzusetzen, und eben nicht (immer nur) aus der nationalen Perspektive nach Europa zu schauen.
EVP | Christdemokraten, Konservative | 182 Sitze ( –34) |
S&D | Sozialdemokraten | 154 (–30) |
Renew Europe | Liberale, Zentristen | 108 (+39) |
Grüne/EFA | Grüne, Regionalisten | 75 (+23) |
ID | Nationalisten, Rechtspopulisten | 73 (+37) |
EKR | Konservative, EU-Skeptiker | 62 (–13) |
GUE/NGL | Linke, Linkssozialisten | 41 (–11) |
Fraktionslose |
| 56 (+36 |
Sowohl die EVP als auch S&D haben massiv Sitze und damit auch ihre gemeinsame Mehrheit im Europaparlament verloren. Drittstärkste und zugleich am stärksten gewachsene Kraft ist Renew Europe mit 108 Sitzen (+39). Etwa dreißig Mandate weniger haben Grüne (75) und Rechtspopulisten (73) errungen. Das mit Abstand beste liberale Wahlergebnis steht in Estland mit 40,6% zu Buche. In Frankreich, Rumänien, Großbritannien, Tschechien und Finnland stehen die Liberalen jeweils bei rund 20%. In 5 Ländern wurden die Liberalen stärkste Partei.
Renew Europe – Liberale mit französischem Akzent
Die Antwort auf die Frage nach dem Namen „Renew Europe“ beginnt mit der Frage nach dem Namen „Macron“ - der französische Präsident, der Europa verändern will. Nachdem er in Frankreich mit seiner Bewegung En Marche die beiden Volksparteien von Sozialisten und Konservativen bedeutungslos gemacht hat, konnte er sich auf europäischer Ebene natürlich nicht deren Parteienfamilien anschließen. Stattdessen verhandelte er seit 1 Jahr mit der liberalen ALDE – am Ende für beide Seiten erfolgreich. Aber Macron wäre nicht Macron, wenn er für die gewollte Veränderung nicht auch ein Zeichen setzen wollte. Und so traten seine Abgeordneten von En Marche nicht einfach der liberalen ALDE-Fraktion bei, nein, man bildet jetzt gemeinsam die Fraktion „Renew Europe“. Franzosen (20), Briten (17), Spanier und Rumänen (je 8) sind am stärksten vertreten. Fraktionsvorsitzender ist der Rumäne Dacian Julien Cioloș, von 2010 bis 2014 EU-Agrarkommissar und von 2015 bis 2017 Premierminister Rumäniens. Die eigentlich für dieses Amt vorgesehene Französin Nathalie Loiseau hatte sich im Vorfeld der Wahlen mit allzu offenen und öffentlich gewordenen Worten unter anderem über Guy Verhofstadt und „Ektoplasma“ Manfred Weber selbst ins Abseits befördert. Eben jenes europäische Urgestein, der Belgier Guy Verhofstadt wäre nur zu gern Präsident des Europäischen Parlaments geworden, nun soll er Leiter der Konferenz zur Zukunft Europas werden. Den 5 deutschen FDP-Abgeordneten von Renew Europe - angeführt von Nicola Beer - attestiert Hans Stein exzellente Vorarbeit. Denn obwohl die FDP-Gruppe nicht zu den stärksten der Fraktion zählt, konnten wichtige Ausschussplätze verhandelt werden:
Nicola Beer wurde zur Vize-Präsidentin des Europäischen Parlaments gewählt und ist zudem Mitglied im Ausschuss Ausschuss für Industrie, Forschung und Energie (ITRE) sowie Stellvertreterin im Ausschuss für Wirtschaft und Währung (ECON). Svenja Hahn: Mitglied im Ausschuss für Binnenmarkt und Verbraucherschutz (IMCO), Stellvertreterin im Ausschuss für internationalen HandelBinnenmarkt/Verbraucherschutz, Internationaler Handel (INTA). Andreas Glück: Ausschuss für Umweltfragen, öffentliche Gesundheit und Lebensmittelsicherheit (ENVI), Stellvertreter im Ausschuss für auswärtige Angelegenheiten (AFET). Moritz Körner: Mitglied im Haushaltsausschuss (BUDG) sowie im Ausschuss für bürgerliche Freiheiten, Justiz und Inneres (LIBE). Jan-Christoph Oetjen: Mitglied im Ausschuss für Verkehr und Tourismus (TRAN), Stellvertreter im
Ausschuss für bürgerliche Freiheiten, Justiz und Inneres (LIBE).
Der Europäische Rat ist kein Hinterzimmer!
Für massive Diskussionen und Irritationen hatte die Nominierung der Deutschen Ursula von der Leyen gesorgt – allerdings nur in Deutschland. Nachdem im Europäischen Parlament sowohl Christ- als auch Sozialdemokraten kundgetan hatten, dass sie den „Spitzenkandidaten“ der jeweils anderen Partei(enfamilien), Manfred Weber und Frans Timmermans, nicht bei der Wahl zum EU-Kommissionspräsidenten unterstützen würden sowie die Christdemokraten die Liberale Vestager als „Nicht-Spitzenkandidatin“ ablehnten, lag der Ball bei den Regierungschefs und -chefinnen. Macron wollte Weber nicht, hätte aber mit Timmermans kein Problem gehabt. Ganz im Gegensatz zu den Osteuropäern, für die Timmermans ein rotes Tuch war. Ohnehin hat der Europäische Rat das Vorschlagsrecht bei der Kandidatenkür zum Kommissionspräsidenten. Zu kritisieren ist allenfalls, so Hans Stein, dass den Wählerinnen und Wählern von Christ- und Sozialdemokraten suggeriert wurde, dass der „Spitzenkandidat“ des Wahlgewinners automatisch Präsident der Kommission würde. Eine Ansicht, die übrigens in keinem anderen Mitgliedsland so weit verbreitet war, wie in Deutschland. Eine TV-Debatte zwischen Weber und Timmermans hat es auch nur im deutschen Fernsehen gegeben.
Am Ende kam eine Überraschung heraus: Ursula von der Leyen. Stein kritisierte und warnte jedoch ausdrücklich davor, den Europäischen Rat als „Hinterzimmer“ zu diffamieren. Der Europäische Rat ist eine der 3 Institutionen der Europäischen Union, niemand käme auf die Idee Verhandlungen unserer Ministerpräsidenten im Deutschen Bundesrat als Hinterzimmer zu bezeichnen.
„Dass allerdings die deutschen Sozialdemokraten im Europaparlament im Gegensatz zu ihren Fraktionskollegen aus den anderen Ländern die Deutsche nicht mitgewählt haben und dass von der Leyen aufgrund des negativen Votums der mitregierenden SPD nicht von der eigenen Regierung vorgeschlagen werden konnte, darüber schüttelt ganz Europa verständnislos den Kopf.“, so Stein. „Schlimmer noch: von der Leyen wurde im Parlament zur Kommissionspräsidentin gewählt – gegen die Mehrheit der deutschen Abgeordneten von Sozialdemokraten, Grüne, Linke und AfD. Das versteht in Europa niemand.“ Im Oktober ist das Parlament dann erneut gefragt, wenn von der Leyen ihre Kommission zur Wahl stellt. Dann werden auch Timmermans und Margrethe Vestager wieder ins Blickfeld rücken – mit eigenem Ressort und in herausgehobener Stellung innerhalb der Kommission. Warum es an der Spitze der Kommission trotz der starken Rolle von Macron keine Franzosen gibt? „Macron,“ so Stein, „war es wichtiger, Frau Lagarde an der Spitze der Europäischen Zentralbank zu platzieren.“
Nachfolger von Donald Tusk an der Spitze des Europäischen Rates soll Belgiens liberaler Noch-Premier Charles Michel werden. Parlamentspräsident ist der italienische Sozialdemokrat David Sassoli, und das Amt des Hohen Vertreters der EU für Außen- und Sicherheitspolitik soll Spaniens Außenminister Josep Borrell, ebenfalls Sozialdemokrat, übernehmen.