Wir müssen die Menschen beim Klimaschutz mitnehmen

Streitgespräch von Christian Lindner mit Schülern

26.04.2019 Meldung FDP-Bundestagsfraktion

Christian Lindner, MdB

Der FDP-Fraktionsvorsitzende Christian Lindner und die Schüler Kerim Wirth, Jana Boltersdorf, Till Wirtz und Vincent Labonté im Streitgespräch für die „Rheinische Post“ und den „Kölner Stadt-Anzeiger“ (Samstagsausgaben). Die Fragen stellten Philipp Jacobs und Gerhard Voogt:

Frage: Herr Lindner, 2017 stand auf Ihrem Wahlplakat: „Schulranzen verändern die Welt – nicht Aktenkoffer“. Wie passt das zu Ihrer Kritik an den Schülerprotesten?

Lindner: Damals ging es um Bildungspolitik, die bestmöglich auf die Zukunft vorbereitet. Investitionen in Bildung heute sichern Wettbewerbsfähigkeit und innovative Technologie morgen. Wir räumen Schule und Bildung daher höchste Priorität ein. Junge Menschen müssen eine exzellente Ausbildung bekommen, mit wenig Unterrichtsausfall und digitalen Lehrmethoden. In NRW sind wir mit der Koalition von CDU und FDP auf einem guten Weg.

Wirth: Na ja, das mag Ihnen jetzt nicht mehr passen, aber inhaltlich ist das Plakat gewiss hochaktuell. Der Schulranzen ist ein Symbol für die Auseinandersetzung der Jugend mit der Zukunft und den Problemen, die gelöst werden müssen. Und die Politiker, die beim Klimaschutz versagen, stehen für den „Aktenkoffer“. Wir gehen freitags auf die Straße, um Alarm zu schlagen, weil wir die Welt verändern wollen. Wir sehen uns in der Pflicht, dies zu tun, weil alle Menschen von den Folgen des Klimawandels betroffen sind.

Lindner: Plakatbotschaften unterschiedlich auszulegen, bringt uns nicht weiter. In der Sache bin ich mit der Klimapolitik der Regierung wie ihr unzufrieden. Die ist bürokratisch und teuer, obwohl die Klimaziele verfehlt werden. Aber wir haben eine Schulpflicht, an der es nichts zu rütteln gibt. Da ist ein gutes Anliegen keine Entschuldigung. Die Voraussetzung dafür, dass die Schulranzen die Welt verändern können, ist doch, dass sich Menschen das nötige Wissen angeeignet haben. Erwachsene dürfen ja auch nicht während der Arbeit für politische Ziele demonstrieren. Das muss außerhalb der Arbeitszeit stattfinden.

Wirth: Das mag sein, aber Sie wissen selbst, dass unsere Demonstrationen an Samstagen niemals so effektvoll wären. Selbst den Wissenschaftlern hört ja keiner zu. Es ist schade, dass die Schulpflichtdebatte den eigentlichen Inhalt so stark überlagert. Die Politik sollte sich lieber mit unseren Forderungen befassen, anstatt sich Sorgen um unsere Fehlstunden zu machen.

Frage: Herr Lindner, Sie haben als Schüler aber auch mal den Unterricht ausfallen lassen, oder?

Lindner: Nein, ich war kein großer Schulschwänzer. Ich bin mit 14 Jahren zu den Jungen Liberalen gegangen, um die Schulpolitik zu ändern. Übrigens, die Grünen, die euch jetzt nach dem Mund reden, haben 2011 in NRW Schülerdemos gegen ihre Schulpolitik per Erlass untersagt. Ich bin sicher, dass ihr auch am Nachmittag gehört würdet. Mich stören außerdem das Spiel mit der Angst und die Panik, die jetzt erzeugt wird. Das gab es in meiner Jugend auch. Da hieß es, der Wald würde sterben oder das Ozonloch würde uns umbringen. Beides haben wir durch kluges Handeln in den Griff bekommen.

Boltersdorf: Herr Lindner, meinen Sie ernsthaft, wir schlagen jetzt falschen Alarm? Fakt ist doch, dass es um Angst geht. Die wissenschaftlichen Studien machen mir und vielen Menschen tatsächlich große Angst. Wir haben vielleicht nur noch zehn Jahre Zeit, wenn wir wollen, dass uns der Klimawandel nicht außer Kontrolle gerät. Das ist verdammt knapp und das muss den Menschen jetzt endlich jemand vor Augen halten. Das wäre eigentlich Ihr Job, nicht unserer.

Wirtz: Sie haben recht, Angst ist eine starke Emotion, die zum Augenöffner werden kann. Klar ist auch, dass uns das bei der Mobilisierung hilft. Sie nutzen ja selbst häufig Emotionen, um maximale Aufmerksamkeit für Ihre Ziele zu erreichen.

Labonté: Vielen Menschen fehlt jedes Bewusstsein für das, was passiert, auch in der Politik. Da muss man sich klar ausdrücken.

Wirtz: Aber die Furcht vor den Folgen des Klimawandels soll ja in unserem Fall etwas Positives auslösen – nämlich einen Bewusstseinswandel, der hilft, den Planeten zu retten. Wir sind ja nicht die AfD, die Ressentiments gegen Flüchtlinge schürt.

Lindner: Nein, natürlich seid ihr nicht die AfD. Es gibt eine andere Parallele, die ich ziehe. Im Sommer 2015 gab es die Kampagne „Refugees welcome“ und eine sehr emotional geführte Debatte über die richtige Flüchtlingspolitik. Das sollten wir in der Klimapolitik nicht wiederholen. Heute sieht man in der Flüchtlingsdebatte alles viel nüchterner und differenzierter. Ich wage die Vorhersage, dass die Diskussion über den Klimaschutz in drei Jahren ganz anders geführt wird, falls 400.000 Leute aus der Automobilindustrie entlassen werden müssen. Schon in diesem Jahr kann man bei vielen Herstellern keine neuen Fahrzeuge unter 20.000 Euro kaufen. Die Umsetzung übertriebener Forderungen könnte wie ein Bumerang als Konjunkturprogramm für Populisten zurückkommen.

Wirtz: Was meinen Sie damit?

Lindner: Die Forderung von Fridays-for-Future, dass Deutschland ab 2035 keine Emissionen mehr ausstoßen soll, ist unrealistisch. Es sei denn, man nimmt zum Beispiel eine unsichere Stromversorgung in Kauf, bei der das Licht zu flackern beginnt. Um die erneuerbaren Energien effektiv nutzen zu können, brauchen wir in Deutschland 6000 Kilometer neue Stromnetze. Im vergangenen Jahr wurden aber lediglich 27 Kilometer fertiggestellt. Das ist so viel, wie eine Weinbergschnecke im Jahr zurücklegt. Überall vor Ort wird gegen die Leitungen protestiert, auch von Naturschützern. Es wird schon extrem schwer, die Ziele des Pariser Klimaschutzabkommens für 2050 einzuhalten. 2035 ist physikalisch unmöglich. Stattdessen sollten wir umso engagierter die Pariser Ziele ansteuern.

Wirth: Aber die bestehenden Möglichkeiten werden nicht genutzt. Auf dem Land beispielsweise werden die Menschen zum Autofahren gezwungen, weil in den Randzeiten und an Wochenenden zu wenig Busse fahren.

Lindner: Und wenn jemand Auto fahren will, um flexibel zu sein? Da sollten wir das Auto klimafreundlich machen. Auf dem Land ist es auch nicht zwingend ökologisch sinnvoll, große Busse fahren zu lassen, in denen kaum jemand drin sitzt. Da brauchen wir intelligente und individuelle Lösungen, zum Beispiel durch autonome Fahrzeuge, die sich ein paar Leute teilen.

Wirth: Da sind wir jedoch erst ganz am Anfang der Entwicklung. Jetzt brauchen wir schnelle Lösungen.

Lindner: So? Ich habe einen anderen Vorschlag. Wir bestimmen exakt die Menge CO2, die nach den Pariser Zielen bis 2050 noch ausgestoßen werden darf. Schritt für Schritt können wir uns heute mit neuen Technologien darauf einstellen. Damit werden wir später stark CO2 einsparen können, auch wenn wir im Moment noch einen recht hohen Anteil des Budgets brauchen. Einen schweren Tanker zu wenden, das braucht etwas Zeit.

Wirth: Wie die schrittweise Veränderung funktionieren soll, ist mir schleierhaft – zumal technologischer Fortschritt in der Zukunft liegt und somit nicht eindeutig berechenbar ist. Viel eher müssen wir kurzfristige mit längerfristigen Maßnahmen vereinen. Sie, Herr Lindner, fokussieren sich leider nur auf letztere.

Boltersdorf: Die Einführung einer Kerosinsteuer käme dem Klima zugute, da Flüge dadurch teurer würden und weniger geflogen würde.

Lindner: Eine Familie mit zwei Kindern und normalen Einkommen könnte dann aufgrund der Preise nicht mehr in den Urlaub fliegen. Da werden die Leute sauer. Ich setze auf das Wasserstoffflugzeug. Der neue Chef von Airbus sagt, schon die nächste Flugzeuggeneration könnte damit fliegen. Das wäre klimaneutral, aber nicht so viel teurer.

Wirtz: Wenn wir alle weniger Fleisch essen würden, wäre das auch gut für das Klima. Wenn wir gegen Massentierhaltung sind und die ganze Menschheit ernähren wollen, funktioniert es nicht, dass Leute jeden Tag Steaks essen wollen. Da muss man notfalls als Staat auch Zwang ausüben und Gesetze erlassen, um das vegetarische Essen zu fördern.

Lindner: Vielleicht gibt es auch da eine Alternative, die nicht in die Freiheit eingreift? Jeder sollte seinen Speiseplan selbst machen. Und Fleisch sollte nicht zum Luxusprodukt für Reiche werden. Auch der Weltklimarat denkt an das sogenannte Geoengineering als  kreative Lösung. Wir sollten CO2 aus der Luft einfangen und speichern. Das geht technisch, aber auch biologisch. Etwa indem die Regenwälder mit deutschem Geld geschützt werden oder Seegras gezüchtet wird. Durch diese Kompensation müssen wir nicht alle Vegetarier werden.

Wirtz: Das ist aber alles Zukunftsmusik. Mit diesen Maßnahmen werden wir es nie im Leben hinbekommen, den Klimawandel noch rechtzeitig zu stoppen. Um das zu schaffen, müssen wir viel radikaler handeln, als sich die Politiker das bislang trauen. Die Klimadebatte ist keine Kompromissdebatte. Die muss man anders führen. Auch die Angst vor dem Unmut in der Bevölkerung oder vor eventuell steigender Arbeitslosigkeit sollte uns nicht aufhalten. Es geht hier nicht darum, Einzelinteressen umzusetzen, nein, hier ist die ganze Menschheit betroffen.

Lindner: Das ist ein mutiger Text, weil der deutlich macht, dass es euch auch um eine massive Veränderungen der Gesellschaft geht. Ich glaube, dass es anders geht. Mein Ansatz ist, dass wir die Menschen beim Klimaschutz mitnehmen müssen. Radikale Maßnahmen führen immer auch zu radikalen Ergebnissen.

Wirtz: Es kommt doch nur darauf an, dass das vorhandene Geld sinnvoll eingesetzt wird. Warum geben wir so viel Geld für die Bundeswehr aus, und warum haben wir keine Vermögensteuer?

Lindner: Die Bundeswehr brauchen wir, weil wir uns selbst verteidigen müssen. Vermögensteuer würde vor allem von Familienbetrieben bezahlt. Wenn wir da noch weitere Belastungen schaffen, wird die Produktion ins Ausland verlagert. Die Betriebe gehen dann dorthin, wo es gar keine Klimastandards gibt. Man kann sich nicht darauf beschränken, die Emissionen in Deutschland abzuschaffen, das sind weltweit nämlich nur zwei Prozent. Wir müssen moderne Technologie anbieten, die wir exportieren können, um einen globalen Schadstoffanstieg zu verhindern. Was, wenn wir unsere modernen Kohlekraftwerke abschaffen, wenn weltweit Hunderte neu gebaut werden?

Wirth: Natürlich, Deutschland sollte eine Vorbildfunktion haben. Es ist unsinnig, wenn Russland oder China nicht mitziehen. Deswegen wollen wir ja international agieren. Wir wollen nur das eine Ziel durchsetzen. Dabei sind wir übrigens überparteilich und nicht eine Variante der Grünen Jugend, obwohl oft dieser Eindruck entsteht. Bei Fridays-for-Future sollte Parteipolitik keine Rolle spielen.

Lindner: Dennoch sehe ich viele Plakate gegen Kapitalismus, die geschwenkt werden. Das sieht schon nach Vereinnahmung aus. Warum auch nicht? Ich lade alle Aktivisten dazu ein, sich über den Freitag hinaus in Parteien zu engagieren. So ein Verjüngungsschub und Idealismus würde allen guttun.

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