Kampf für Freiheit und Demokratie

Publikation von Gerhart Baum

03.01.2022 Meldung Friedrich-Naumann-Stiftung

Wie viel Mut muss aufgebracht werden, um früh morgens zu einer Demonstration zu gehen, nicht wissend, ob der Abend im Gefängnis endet? Wie viel innerer Kraft und Überzeugung bedarf es, um sich gegen repressive Regime und Machthaber aufzulehnen? Wie stark muss das Gerechtigkeitsgefühl sein, um sich gegen die Unterdrückung eines ganzen Volkes zu wehren und dadurch selbst zum Angriffsziel gewissenloser Diktatoren zu werden?

„Wir werden frei geboren, um frei zu sein“, sagt Hannah Arendt. In dem Moment, wo Menschen von ihrer Freiheit Gebrauch machen wollen, verlieren sie die Freiheit. Wir erleben weltweit ein erstaunliches Demonstrationsgeschehen – und es hat Wirkung. Positive Wirkung zum Beispiel im Sudan. Der langjährige Diktator Omar al- Bashir wurde aus dem Amt gejagt und muss sich der Anklage vor dem Internationalen Strafgerichtshof stellen. Mich erfüllt das als früheren UN Sonderberichterstatter für den Sudan mit besonderer Genugtuung – hatte ich ihn doch in meinen Berichten für schwere Menschenrechtsverletzungen verantwortlich gemacht. Spontane Demonstrationen gegen die Lebensverhältnisse in Kuba. Das Regime bleibt nicht unbeeindruckt. Auf der anderen Seite führen Demonstrationen zu mehr Repression, so in Hongkong, in Myanmar, in Belarus, in Russland. Manche lassen sich auch davon nicht abschrecken.

Menschenrechtspolitik ist immer Einmischung

Der Wille, frei zu leben, ist jedem Menschen eingeboren. Da gibt es keine Unterschiede nach Kulturen oder Religionen, wie uns manche Machthaber glauben machen wollen. Bei meinen vielen Reisen habe ich überall Menschen getroffen, die so frei leben wollen wie wir. Und Menschenrechtspolitik ist immer Einmischung. Die Allgemeine Erklärung der Menschenrechte, die UN Charta, die Grundrechtecharta der Europäischen Union, die Europäische Menschenrechtskonvention, sie alle bedeuten, dass der einzelne Mensch geschützt werden muss – auch gegen den eigenen StaatSchutzobjekt ist der Mensch. Der einzelne Täter wird auch persönlich verantwortlich gemacht – immer stärker durch Strafgerichthöfe und durch das Völkerstrafrecht. Soeben hat der BGH entschieden, dass die Ahndung von Kriegsverbrechen und anderer schwerer Delikte durch nachrangige Hoheitsträger hierzulande nicht durch Hinweis auf Immunität ausgeschlossen werden kann. Der Täter kann sich nicht hinter seinem Staat verstecken. Auch die UN Doktrin Responsibility to protect zielt auf die Verantwortung der Staatengemeinschaft, um den Einzelnen gegen die in seinem Staat gegen ihn ausgeübte Repression zu schützen.

Die Würde des Menschen birgt eine kämpferische Kraft

Blicken wir auf diejenigen, die Widerstand leisten. Dem unermüdlichen Engagement und der Bedeutung dieser mutigen Menschen hat die UN Generalversammlung am 50. Jahrestag der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte eine starke Resolution gewidmet: die UN Erklärung für Menschenrechtsverteidiger und -verteidigerinnen.

Einstimmig von der Staatengemeinschaft verabschiedet, stattet diese Deklaration Menschenrechtsverteidigerinnen und -verteidiger mit bestimmten Rechten gegen unterdrückende Regime aus. Sie ist eine Selbstverpflichtung von Staaten, das Engagement von Menschenrechtsverteidigerinnen und -verteidigern besonders zu achten und zu schützen. Und auch sie wird von den Unterdrückerregimen als unstatthafte Einmischung empfunden. Aber die ist gewollt. Im Laufe der Jahrzehnte ist immer stärker ins Bewusstsein gekommen, dass die Durchsetzung der Menschenrechte davon abhängt, dass einzelne Widerstand gegen Willkür, Ausbeutung, Armut und Missachtung von Bürgerrechten leisten. Sie sind geleitet von der tiefen Überzeugung von der Würde des Menschen. Sie ist das sittliche Leitmotiv der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte und auch des von ihr inspirierten Grundgesetzes. Die Würde birgt eine kämpferische Kraft, die freiheitsliebend, ungebunden und zukunftsorientiert ist. Sie äußert sich in dem Willen, selbstbestimmt zu leben und mitzubestimmen.

Gefährlicher Einsatz für Veränderung

Artikel 1 unseres Grundgesetzes verpflichtet alle staatliche Gewalt, dieses Prinzip nicht nur hierzulande zu achten, sondern bei allen ihren internationalen Aktivitäten. Damit ist etwa Protest gegen die Unterdrückung der Uiguren ein Grundgesetzauftrag, ganz gleich wie man ihn wahrnimmt.

Aus diesem Grunde braucht es Einzelne, die sich exponieren und für Demokratie, Freiheit und Menschenrechte eintreten. Als Einzelne geben sie dem Unmut und der Unfreiheit vieler ein Gesicht und setzen sich mit ihrem Namen, ihrem Leben und ihrer Freiheit für eine Veränderung ein. Vielfach werden sie tätig im Rahmen von Nichtregierungsorganisationen. Deren unverzichtbare Rolle bei der Durchsetzung der Menschenrechte ist in der Schlusserklärung der Menschenrechtskonferenz 1993 in Wien bekräftigt worden.

Jeder kann die Menschenrechte verteidigen

Wer sind diese Menschen, die für die Freiheit kämpfen? Es gibt sie weltweit. Es sind Junge und Alte, Männer und Frauen. Sie setzen sich in kleinen Dörfern für eine bessere Gesundheits- und Nahrungssituation und für die Bildung ihrer Kinder ein.  Bewundernswert sind ihre Aktivitäten in den großen Flüchtlingslagern, etwa im Nahen Osten. Sie bemühen sich, dass Wahlen und Versammlungen an entlegenen Orten erfolgen können, dass Menschen über die Risiken der Pandemie informiert werden oder die Natur vor Raubbau und Umweltkatastrophen bewahrt wird. Das Einsatzgebiet von Menschenrechtsverteidigern und -verteidigerinnen ist vielfältig und richtet sich nach der Situation vor Ort und der Vulnerabilität derjenigen, die unterstützt werden müssen. Ihr Engagement ist notwendig, um die Welt und unser Zusammenleben zu verbessern.

Menschenrechtsverteidiger und -verteidigerin kann jeder Mensch werden. Kein Schulabschluss muss erworben, kein bestimmter Beruf ergriffen werden. Es braucht Mut, Freiheitswillen und Aufrichtigkeit. Menschenrechtsverteidigerinnen und -verteidiger zeichnen sich durch ihre freiheitlichen und auf den Schutz der Menschenwürde ausgerichteten Handlungen aus. Sie setzen einen Kontrapunkt zur Handlungsunfähigkeit von politisch Verantwortlichen. Nur durch ihr Engagement werden Menschenrechte immer wieder auf die politische Agenda gesetzt, auch dort, wo Regierungen gerade dabei sind, diese auszuhebeln oder längst missachten.

Menschenrechtsverteidiger in Gefahr

Nicht selten ist die körperliche Unversehrtheit der Menschenrechtsverteidiger gefährdet. Kriminelle Straftäter, die Verbrechen begangen haben, erfahren gewisse Standards, die weltweit nach der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte, der Europäischen Menschenrechtskonvention und anderen internationalen Verträgen geregelt sind. Menschenrechtsverteidigerinnen und -verteidiger werden hingegen diskriminiert, verfolgt oder gar weggesperrt, in Gefängnissen gefoltert und ermordet.

Die UN Erklärung setzt die Standards für Menschenrechtsverteidigerinnen und -verteidiger. Sie wird nicht dadurch überflüssig, wenn sich Diktaturen nicht an sie halten, obgleich sie in der Generalversammlung ihre Zustimmung erteilt hatten. Das geht manchen völkerrechtlichen Vereinbarungen so. Kein vernünftiger Mensch wird auf das Folterverbot deshalb verzichten, weil es nicht befolgt wird. Eine solche Verpflichtung der Völkergemeinschaft setzt die Machthaber aber unter Druck. Wenn sie die Nichtbeachtung nicht leugnen können, dann versuchen sie, diese durch angeblich übergeordnete Ziele zu rechtfertigen, beispielsweise indem sie Menschenrechtsverteidiger zu Terroristen deklarieren. Das ist soeben mit der Bewegung von Nawalny geschehen – sie ist in den Augen des Putin-Staates eine terroristische Vereinigung. Jeder, der für sie auftritt, ist ein Terrorist. Das Strafrecht wird zur Farce. Es wird politisch instrumentalisiert,

Exil als einziger Ausweg

Auch im Exil werden Menschenrechtsverteidigerinnen wie Masih Alinejad aus dem Iran und Mu Sochua aus Kambodscha weiter verfolgt und mit Hass überschüttet. Das hindert sie nicht daran, sich weiter für andere Opfer einzusetzen und anderen Verfolgten eine Stimme zu geben.

„Mein Engagement für die Verteidigung der Menschenrechte, der Benachteiligten und Ausgegrenzten hat nicht nachgelassen, nur weil ich jetzt selbst ein Opfer bin“, erklärt die philippinische liberale Oppositionspolitikerin und Menschenrechtsverteidigerin, Leila de Lima, die seit vier Jahren in Haft sitzt.

Vielen bleibt keine Wahl. Entweder sie verlassen das Land, wenn sie es noch können, oder sie bleiben, um Widerstand zu leisten.

Maria Kalesnikava zerriss ihren Pass, um ihre Abschiebung aus Belarus zu verhindern. Seit September 2020 ist sie in Haft, soll zermürbt und gedemütigt werden – bewundernswert auch dieser Kampfesmut in der Haft, die in Wahrheit das Ziel hat, sie zu zerstören – vergleichbar mit dem Fall Nawalny.

Besondere Verantwortung

Es gibt für uns Deutsche eine besondere Motivation, für die Menschenrechte zu kämpfen. Einmal unsere Vergangenheit. Unser Land ist verantwortlich für Verbrechen, die, wie es die Allgemeine Erklärung für Menschenrechte von 1948 zum Ausdruck bringt, „das Gewissen der Menschheit zutiefst verletzt haben“. Es ist auch die Gegenwart. Wir haben uns nicht selbst befreit. Wir haben eine Demokratie aufgebaut, dabei wurde uns geholfen. Wir haben uns mit der Welt versöhnt. Wir haben weltweit Vertrauen aufgebaut, das schließlich zur Wiedervereinigung und zur Befreiung Osteuropas geführt hat. Wir leben in einem vereinten Europa. Wer sollte stärker als wir motiviert sein, Verbündete derjenigen in aller Welt zu sein, die dieses Glück nicht haben.

„In einem vereinten Europa dem Frieden der Welt zu dienen“. Diesen Auftrag des Grundgesetzes haben wir zu erfüllen. Er ist Richtschnur unserer Politik, auch wenn das manchmal nicht konsequent genug geschieht.

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Gerhart Rudolf  Baum

Gerhart Rudolf Baum

Bundesinnenminister a.D.

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