Stellungnahme zur Reform des Kündigungsschutzes

11.11.2003 Beschlüsse der Parteigremien FDP-Kreisverband Köln

Stellungnahme des Arbeitskreises "Arbeit und Soziales" zur Reform des Kündigungsschutzes Am 26.09.2003 hat der Bundestag das Gesetz zur Reform am Arbeitsmarkt in zweiter und dritter Lesung verabschiedet. Das Gesetz bedarf noch der abschließenden Behandlung im Bundesrat. Teil des Gesetzesentwurfes ist unter anderem die Reform des Kündigungsschutzes. Die beschlossenen Änderungen zur Reform des Kündigungsschutzes überzeugen nicht. Sie sind nicht weitgreifend genug und leiden unter zahlreichen "handwerklichen" Fehlern. Im Einzelnen: 1. § 1 III 1 KSchG § 1 III KSchG regelt die Sozialauswahl im Falle der betriebsbedingten Kündigung. Bislang hatte der Arbeitgeber bei der Auswahl derjenigen Arbeitnehmer, die gekündigt werden sollen, soziale Gesichtspunkte zu berücksichtigen. Der Begriff "soziale Gesichtspunkte" soll durch die Begriffe "Dauer der Betriebszugehörigkeit", "Lebensalter" und "Unterhaltspflichten des Arbeitnehmers" ersetzt werden. Diese Regelung wird nicht zu dem erstrebten Erfolg, betriebsbedingte Kündigungen zu erleichtern, führen. In der heutigen arbeitsrechtlichen Praxis wird nämlich bei der Sozialauswahl regelmäßig auf die drei Sozialindikatoren Betriebszugehörigkeit, Lebensalter und Unterhaltspflichten abgestellt. Berück-sichtigt der Arbeitgeber diese Faktoren, so ist die Kündigung sozial gerechtfertigt. Der Entwurf bestimmt bedauerlicherweise nicht, ob der Arbeitgeber sich bei Ausspruch der Kündigungen auf die Eintragungen in der Lohnsteuerkarte verlassen kann oder ob er weitere Recherchen anstellen muss. Ebenfalls im Gesetzestext selbst nicht klargestellt wird, ob der Arbeitgeber lediglich die drei im Gesetz genannten Sozialindikatoren (Betriebszugehörigkeit, Alter, Unterhaltspflichten) berücksichtigen darf oder ob er auch berechtigt ist, auf weitere Umstände zurückzugreifen. Die Gesetzgebungsmaterialien stellen hierzu klar, dass die Beachtung unbilliger Härten im Einzelfall nicht ausgeschlossen werden soll. Zusätzlich erfassbare Tatsachen müssen jedoch in einem unmittelbaren spezifischen Zusammenhang mit den Grunddaten stehen bzw. sich aus solchen betrieblichen Gegebenheiten herleiten, die evident einsichtig sind. Dies beträfe (so der Gesetzesentwurf) beispielsweise Berufskrankheiten und einen vom Arbeitnehmer nicht verschuldeten Arbeitsunfall, der zugunsten des betreffenden Arbeitnehmers berücksichtigt werden könne. Die Belange der Arbeitnehmer, die einem besonderen Kündigungsschutz unterliegen, z.B. schwerbehinderte Menschen, Frauen im Mutterschutz oder Arbeitnehmer in der Elternzeit, seien durch besondere Schutzgesetze berücksichtigt. Die Gesetzgebungsmaterialien legen den Schluss nahe, dass der Arbeitgeber mit Ausnahme der im Sonderkündigungsschutz niedergelegten Faktoren weitere Umstände, die Härtefälle begründen, berücksichtigen darf. Dies sollte im Gesetzestext selbst klargestellt werden. 2. § 1 III 2 KSchG § 1 III 2 KSchG regelt die Überwindung der Sozialauswahl. Nach bislang geltendem Wortlaut waren solche Arbeitnehmer nicht in die Sozialauswahl einzubeziehen, für deren Weiterbeschäftigung ein betriebstechnisches, wirtschaftliches oder sonstiges berechtigtes betriebliches Bedürfnis besteht. Die arbeitsgerichtliche Praxis hat diese Bestimmung extrem restriktiv ausgelegt. Zukünftig soll der Gesetzeswortlaut dahingehend angepasst werden, dass solche Arbeitnehmer nicht mit in die Sozialauswahl einzubeziehen sind, deren Weiterbeschäftigung insbesondere wegen ihrer Kenntnisse, Fähigkeiten und Leistungen oder zur Sicherung einer ausgewogenen Personalstruktur des Betriebes in berechtigtem betrieblichen Interesse liegt. Die Auslegung dieser unbestimmten Rechtsbegriffe ist nicht zu prognostizieren. Der Begriff des Leistungsträgers ist dem deutschen Arbeitsrecht bislang fremd. Er wird für weitere Rechtsunsicherheit sorgen. Der Ausschuss "Arbeit und Soziales" empfiehlt deshalb, anstelle der Umformulierung des § 1 III 2 KSchG die Aufnahme eines § 1 VI KSchG. Hiernach soll der Arbeitgeber bei 10 % der zu kündigenden Arbeitnehmer selbst bestimmen, ob sie aus der Sozialauswahl auszunehmen sind. Eine solche Regelung wird aus Sicht des Ausschusses "Arbeit und Soziales" für die erforderliche Rechtssicherheit und Rechtsklarheit sorgen. 3. § 1 IV KSchG Die vorgeschlagene Änderung zu § 1 IV KSchG wird von dem Ausschuss "Arbeit und Soziales" ausdrücklich begrüßt. 4. § 1 a KSchG Die Regelung in § 1 a des Entwurfes zur Reform des Kündigungsschutzgesetzes ist zu kompliziert. Sie wird das Kündigungsschutzrecht nicht erleichtern und entspricht schon heute gängiger Praxis. Nach § 1 a KSchG steht dem Arbeitnehmer ein Anspruch auf Zahlung einer Abfindung gem. § 1 a II KSchG zu, wenn - der Arbeitgeber wegen dringender betrieblicher Erfordernisse kündigt, - der Arbeitnehmer bis zum Ablauf der Frist des § 4 I KSchG keine Klage auf Feststellung erhebt, dass das Arbeitsverhältnis durch die Kündigung nicht aufgelöst ist und - der Arbeitgeber in der Kündigungserklärung darauf hinweist, dass die Kündigung auf dringende betriebliche Erfordernisse gestützt wird und der Arbeitnehmer bei Verstreichenlassen der Klagefrist eine Abfindung beanspruchen kann. § 1 a KSchG eröffnet folglich dem Arbeitgeber lediglich die Möglichkeit, vor Ablauf der Frist zur Einreichung der Kündigungsschutzklage eine einvernehmliche Beendigung des Arbeitsverhältnisses gegen Zahlung einer Abfindung anzuregen. Diese Möglichkeit besteht schon nach geltendem Recht. Sie wird nach derzeitiger arbeitsrechtlicher Praxis allerdings oftmals als Eingeständnis von Schwäche angesehen. Die Vorschrift des § 1 a KSchG wird dazu führen, dass die Abfindungen langfristig steigen werden. Sucht ein Arbeitnehmer einen Anwalt nach Ausspruch einer Kündigung verbunden mit einem entsprechenden Hinweis im Sinne des § 1 a I 2 KSchG auf, wird der Rechtsanwalt den Arbeitnehmer dahingehend beraten, dass dem Arbeitnehmer eine Abfindung in Höhe von einem halben Monatsgehalt pro Jahr des Bestehens des Arbeitsverhältnisses bereits zusteht. Er wird deshalb eine über den bisherigen Schlüsseln hinausgehende Abfindung einfordern, um sein Honorar zu rechtfertigen. Letztlich wird deshalb die Vorschrift des § 1 a KSchG das Gegenteil von dem Bezweckten (Flexibilisierung des Arbeitsmarktes) bewirken. Schließlich leidet der Entwurf des § 1 a KSchG an handwerklichen Fehlern. § 1 II 2 KSchG lautet im Wortlaut: "Bei der Ermittlung der Dauer des Arbeitsverhältnisses ist ein Zeitraum von mehr als sechs Monaten auf ein volles Jahr aufzurunden". Bei dieser Regelung ist unklar, ob dies nur für das erste Jahr des Beschäftigungsverhältnisses oder auch für die folgenden Jahre gilt. Ist nur ein Beschäftigungszeitraum von sieben Monaten auf ein Jahr aufzurunden oder ist auch ein Beschäftigungsjahr von 1 Jahr und sieben Monate auf zwei Jahre aufzurunden? Die arbeitsförderungsrechtlichen Konsequenzen des Gesetzesentwurfs sind ebenfalls noch regelungsbedürftig. Unklar ist, ob das Arbeitsamt eine Sperrfrist im Sinne des § 144 SGB III verhängen wird, wenn der Arbeitnehmer bei entsprechendem Hinweis des Arbeitgebers die Klagefrist verstreichen lässt und die Abfindung erhält. Dies sollte ebenfalls im SGB III klargestellt werden. Der Ausschuss Arbeit und Soziales lehnt die Änderung des § 1 a KSchG ab. Er regt an, dass statt dessen das KSchG auf Betriebe, die weniger als 20 Arbeitnehmer beschäftigen, nicht anwendbar ist. § 23 I 2 KSchG sollte entsprechend angepasst werden. Die in Bezug genommene Betriebsgröße von 20 Arbeitnehmern entspricht der arbeitsrechtlichen Systematik. Die Mitbestimmungsrechte des Betriebsrates in personellen Einzelmaßnahmen knüpfen an eine Unternehmensgröße von 20 wahlberechtigten Arbeitnehmern an. Gleiches gilt für die Mitbestimmungsrechte bei Betriebsänderungen gem. § 111 ff. BetrVG. Es bietet sich deshalb aus Sicht des Arbeitskreises Arbeit und Soziales an, diese Größe auch in das Kündigungsschutzgesetz einzufügen. 5. §§ 4, 6, 7 und 13 KSchG Die Änderungsvorschläge in §§ 4, 6 und 7 sowie 13 KSchG werden vom Arbeitskreis Arbeit und Soziales ausdrücklich begrüßt. 6. § 23 KSchG § 23 KSchG des Entwurfes sieht vor, dass bis zum 31.12.2008 bei der Feststellung der Zahl der beschäftigten Arbeitnehmer nach § 23 I 2 KSchG Arbeitnehmer mit befristetem Arbeitsvertrag nicht zu berücksichtigen sind, wenn das Arbeitsverhältnis nach dem Inkrafttreten des Gesetzes begonnen hat. Diese Änderung überzeugt ebenfalls nicht. Sie ist bereits vom Wortlaut her missglückt. Der Entwurf stellt nicht klar, ob die Befristungen, die nicht mit berücksichtigt werden sollen, wirksam vereinbart worden sein müssen oder nicht. Unterstellt man, dass die Befristungen wirksam sein müssen, gestaltet sich der Kündigungsschutz in kleinen Betrieben komplizierter als in Großbetrieben. Bei der Ermittlung der Zahl der beschäftigten Arbeitnehmer sind zunächst die unbefristet beschäftigten Arbeitnehmer zu ermitteln. Alsdann ist bei den befristeten Arbeitsverhältnissen in jedem Einzelfall zu prüfen, ob die Befristung nach dem Teilzeitbefristungsgesetz wirksam vereinbart wurde oder nicht. Allein diese rechtlich komplizierte Ermittlung ist für den kleinen Betrieb unzumutbar. Unberücksichtigt gelassen hat der Gesetzgeber ferner, dass mehr als die Hälfte der Arbeitsverhältnisse in Deutschland auf das 65. Lebensjahr befristet sind. Es hätte deshalb klargestellt werden müssen, dass derartige auf den Rentenbeginn befristete Arbeitsverhältnisse nicht unter die Ziffer § 23 I 3 KSchG fallen. Die Regelungen des § 23 I 3 des Vorschlages sollten deshalb ersatzlos gestrichen werden. Stattdessen sollte der Anwendungsbereich des Kündigungsschutzgesetzes nur bei Betrieben, die mehr als 20 Arbeitnehmer beschäftigt werden, eröffnet werden. Dr. Marcus Michels Fachanwalt für Arbeitsrecht

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